Mittwoch, 3. Oktober 2012

Heimkehr

In meiner Kindheit bin ich vor allem durch meine Oma zum kindlichen Glauben gelangt. Sie hat mir die Grundgebete der katholischen Kirche beigebracht. Sie war auch diejenige, die abends mit mir gebetet und mich gesegnet hat. Eine wundervolle Erinnerung bis heute... Mein Kindheitsglaube war recht ausgeprägt. Ich glaubte fest an die Kraft des Gebets, Gott war mir unglaublich nah, und ich wollte unbedingt Nonne werden. Meine Mutter hat mir einmal gesagt, eine Nonne sei halt nicht mit einem Mann, sondern eben mit Gott verheiratet. Das wollte ich auch! Meine Eltern waren nicht die Kirchgänger schlechthin. Sie haben mich zur Vorbereitung der Ersten Heiligen Kommunion begleitet und noch eine Weile danach. Für mich war klar, dass ich nach der Kommunion unbedingt Messdiener werden wollte. Das habe ich einige Jahre mit Freude gemacht. Schnell ließ jedoch das Interesse an Kirche nach. Zum einem betrachtete ich immer kritischer die Frage nach einer Existenz Gottes, meinen Kinderglauben verlor ich, zum anderen tat der damalige Freundeskreis ein Übriges dazu, mich davon zu überzeugen, dass Kirche und Gott unnötig, gar dumm seien.
Meine "soziale Ader" behielt ich aber. Ich hegte seit Jahren den Wunsch, Medizin zu studieren mit der Vorstellung, irgendwo in einem Teil der Welt helfen zu können, wo es wirklich nötig ist. Kurz vor dem Abitur aber wurde ich krank und man riet mir mehrfach und eindringlich davon ab, Medizin zu studieren. Ich fiel daraufhin in ein tiefes Loch, wusste so überhaupt nicht mehr, in welche Richtung ich mich beruflich orientieren sollte. Ab diesem Zeitpunkt verlief alles nur noch zufällig. So bekam ich noch im gleichen Jahr eine Ausbildungsstelle als Bankkauffrau (wollte ich nicht, habe ich aber durchgestanden), habe natürlich nach der Ausbildung nicht in diesem Beruf arbeiten wollen und mich sehr über das Angebot der Bank gefreut, als Anwendungsprogrammiererin ausgebildet zu werden.
Dort lernte ich auch einen Freiberufler kennen, der mir vorschlug, mich selbständig zu machen.
Ich glaube, ich hätte diesen Weg nie eingeschlagen, habe es aber dennoch gewagt, weil das die einzige Möglichkeit war, meine Mutter durch Anstellung wieder in die gesetzliche Krankenversicherung zu bekommen. (Sie war nach der Scheidung und einer verstrichenen Frist aus der KV herausgefallen. Dass so etwas in Deutschland überhaupt geht, hätte ich nicht für möglich gehalten. Tatsächlich kann das einen Menschen finanziell ruinieren). Ich habe während meiner Selbständigkeit auch meinen Mann kennengelernt, sicherlich das wertvollste an dieser Zeit neben der Krankenversicherungsgeschichte :)
Ich trieb weiter, verlor mein Projekt, arbeitete weiter selbständig, freute mich dann aber sehr über ein Jobangebot aus dem Einzelhandel, dankbar darüber, bald wieder "festen Boden" unter den Füßen zu haben, auch wenn dies einen enormen Verdienstverlust bedeutete. 2004 holte mich meine Krankheit wieder ein. Ich musste mich einer großen Operation unterziehen, die mich fast ein Jahr außer Gefecht setzte. Eine harte Zeit für uns beide, aber wir haben sie sehr gut überstanden - immer ein Lächeln auf den Lippen, das war halt meine Einstellung :) Ich lief jedoch Gefahr, meinen Job zu verlieren, weil ich so lange krank war. Nach einem mehrwöchigen Kampf mit meinem Arbeitgeber durfte ich in einer neuen Abteilung meine Arbeit wieder aufnehmen. Innerhalb sehr kurzer Zeit hat sich auch das Verhältnis rehabilitiert. In 2009 begann ich ein Fernstudium, eigentlich nur, weil ich mir nach Jahren des Einzelhandels auch ein wenig fundiertes Wissen aneignen wollte. Kaum begonnen, erhielt ich die ersten Jobangebote als Führungskraft, die ich jedoch ablehnte. Ich befand mich damals in einem tollen Team, der Job machte Spaß und das Studium war nicht in erster Linie der Karriere angedacht. Dennoch habe ich mich dann Ende 2010 zu einem Wechsel entschieden, weil ich auf einen sehr warmherzigen Kollegen traf, der mich überzeugte. Ich habe dann Anfang 2011 trotz neuen Jobs mein Studium erfolgreich abgeschlossen. Heute bin ich in der Leitung für drei Bereiche tätig, habe tolle Teams und freue mich nach wie vor sehr daran, diese Teams zu führen.
Mitte 2011 entschieden mein Mann und ich uns dann endlich zu heiraten. Noch im gleichen Jahr ließen wir uns standesamtlich trauen und planten, in 2012 kirchlich zu heiraten. Trotz meiner Entferntheit zur Kirche nahm ich den Sinn der kirchlichen Hochzeit recht ernst und setzte mich damit auseinander. Dennoch war für uns klar, dass wir "nur" einen Wortgottesdienst feiern wollten, da wir der Meinung waren, unsere Gäste seien alle kirchenfern (und auch wir waren sehr kirchenfern!).Wie sehr wir jedoch zuerst bei meiner Schwiegermutter, dann meiner Mutter auf Wiederstand stießen, kann ich nicht ausdrücken. Das Schlimme daran war, dass ich das vorher wusste... warum auch immer. Ich musste also, ob ich wollte oder nicht, mich damit auseinander setzen, dass wir die Heilige Kommunion in Empfang nehmen würden. Meine Mama weinte, als ich ihr mitteilte, wir hätten uns nun für eine Eucharistiefeier entschieden...
Den Tag werde ich nicht vergessen: eigentlich war es ein Abend, ein Abend wie jeder andere, an dem ich an meinem Schreibtisch saß, und, wie ich mich erinnern kann, nichts Besonderes tat. Ich dachte nicht einmal nach, ich glaube, ich las gerade Nachrichten. Völlig unspektakulär wusste ich plötzlich, dass es Gott gibt. Während ich noch versuchte, den Ursprung dieses Gedanken zu ergründen, empfand ich ein sehr lang anhaltendes Gefühl tiefer Liebe und unendlichen Friedens... und fing an zu beten. Ich bin nun wirklich kein religiöser Mensch, also habe ich versucht, in den folgenden Tagen diese Erkenntnis zu ergründen. Das ist mir nicht gelungen, es hat aber mein Leben (zumindest im Inneren) sehr auf den Kopf gestellt. Ich fing an zu lesen, als erstes in der Bibel (nicht eine im Haus, das Internetzeitalter lässt grüßen) und stellte fest, dass nichts mehr langweilig war, dass jedes Wort seine Aussagekraft besaß und ich es verstand. (Noch eine Anmerkung: später fand ich eine "Gute Nachricht" aus vergangener Zeit und danke heute für dieses Geschenk!). Ich wusste plötzlich, dass ich beichten gehen musste, den Termin konnte ich kaum erwarten. Dennoch muss ich zugeben, dass ich in den folgenden Wochen sehr oft an meinem geistigen Zustand gezweifelt habe. Mich zog es in die Kirche - freiwillig - keine Verpflichtung - keine Langeweile - ein Stück kostbare Zeit mit Gott. Bei allem, was ich tat, im Job, privat, vor dem Einschlafen und nach dem Aufwachen dachte ich nur an Gott. Beten war für mich plötzlich das natürlichste überhaupt. Erklären kann ich es bis heute nicht, das Gebet in jeglicher Form gehört aber nun zu meinem Alltag, genauso wie das Lauschen in meinem Inneren auf Antworten. Ich habe mein Leben nun Gott übergeben. Auch jetzt ist mir all dies immer noch unbegreiflich, weder hatte ich den Wunsch, noch hätte ich gedacht, so etwas sei überhaupt möglich und wie auch? Unsere Hochzeit bekam eine neue ungenahnte Tiefe.
Aber: ich bin glücklich :) Nicht, dass ich das nicht vorher auch schon gewesen wäre! Sogar sehr! Es ist jetzt aber anders. Es ist vielmehr auf meine Umgebung, als auf mich ausgerichtet. Ich bin noch feinfühliger geworden, bedenke jedes Wort, gerade in kritischen Situationen und bemerke, wie sich so einfach alles ändert. Viele kleine und größere Erlebnisse könnte ich hier nun anschließen. Eines ist jedoch klar: ich bin nicht verrückt :) Ein weiter Weg liegt noch vor mir, einer, in dem ich, wie ich es immer tat, kritisch betrachten und hinterfragen werde. Ich werde aber nicht gegen mein Herz ankämpfen. Ich habe etwas geschenkt bekommen, das sich vielleicht insgeheim viele Menschen wünschen. Wie dumm wäre ich, das zu verwerfen (wenn ich das überhaupt könnte)?

Der Mensch vor dem allwissenden Gott
1 [Für den Chormeister. Ein Psalm Davids.] Herr, du hast mich erforscht und du kennst mich.
2 Ob ich sitze oder stehe, du weißt von mir. Von fern erkennst du meine Gedanken.
3 Ob ich gehe oder ruhe, es ist dir bekannt; du bist vertraut mit all meinen Wegen.1
4 Noch liegt mir das Wort nicht auf der Zunge - du, Herr, kennst es bereits.
5 Du umschließt mich von allen Seiten und legst deine Hand auf mich.2
6 Zu wunderbar ist für mich dieses Wissen, zu hoch, ich kann es nicht begreifen.
7 Wohin könnte ich fliehen vor deinem Geist, wohin mich vor deinem Angesicht flüchten?
8 Steige ich hinauf in den Himmel, so bist du dort; bette ich mich in der Unterwelt, bist du zugegen.
9 Nehme ich die Flügel des Morgenrots und lasse mich nieder am äußersten Meer,
10 auch dort wird deine Hand mich ergreifen und deine Rechte mich fassen.3
11 Würde ich sagen: «Finsternis soll mich bedecken, statt Licht soll Nacht mich umgeben»,4
12 auch die Finsternis wäre für dich nicht finster, die Nacht würde leuchten wie der Tag, die Finsternis wäre wie Licht.
13 Denn du hast mein Inneres geschaffen, mich gewoben im Schoß meiner Mutter.
14 Ich danke dir, dass du mich so wunderbar gestaltet hast. Ich weiß: Staunenswert sind deine Werke.5
15 Als ich geformt wurde im Dunkeln, kunstvoll gewirkt in den Tiefen der Erde, waren meine Glieder dir nicht verborgen.
16 Deine Augen sahen, wie ich entstand, in deinem Buch war schon alles verzeichnet; meine Tage waren schon gebildet, als noch keiner von ihnen da war.6
17 Wie schwierig sind für mich, o Gott, deine Gedanken, wie gewaltig ist ihre Zahl!
18 Wollte ich sie zählen, es wären mehr als der Sand. Käme ich bis zum Ende, wäre ich noch immer bei dir.7
19 Wolltest du, Gott, doch den Frevler töten! Ihr blutgierigen Menschen, lasst ab von mir!
20 Sie reden über dich voll Tücke und missbrauchen deinen Namen.8
21 Soll ich die nicht hassen, Herr, die dich hassen, die nicht verabscheuen, die sich gegen dich erheben?
22 Ich hasse sie mit glühendem Hass; auch mir sind sie zu Feinden geworden.
23 Erforsche mich, Gott, und erkenne mein Herz, prüfe mich und erkenne mein Denken!
24 Sieh her, ob ich auf dem Weg bin, der dich kränkt, und leite mich auf dem altbewährten Weg!
(Psalm 139, Bibel Einheitsübersetzung)

1 Kommentar:

  1. Liebe Anika, nachdem Du die Kommentare geöffnet hast, gerne auch noch einmal hier: danke für dieses Zeugnis! Die schlichte Schilderung dieses "unspektakulären" Erkennens hat mich wirklich sehr berührt.

    Bei mir selbst war es (natürlich) ganz anders, und doch erkenne ich viel wieder. Psalm 139 ist mir damals auch ans Herz gewachsen - der Gedanke, daß Gott nicht nur immer da ist, alles von mir weiß, sondern mir auch immer liebevoll und achtsam zugewandt ist, hat mich fasziniert, und das ist bis heute so. Ich wünsch Dir alles Gute für Deinen Weg!

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